UdSSR 1

Bertold Brecht

Bertold Brecht - Gedichte

Lernen, lernen, nochmals lernen!
UdSSR 2

Das Gedächtnis der Menschheit

Das Gedächtnis der Menschheit
für erduldete Leiden ist erstaunlich kurz.
Ihre Vorstellungsgabe für kommende
Leiden ist fast noch geringer.

Die Beschreibungen,
die der New Yorker
von den Gräueln der Atombombe erhielt,
schreckten ihn anscheinend nur wenig.
Der Hamburger ist noch umringt von den Ruinen,
und doch zögert er,
die Hand gegen einen neuen Krieg zu erheben.
Die weltweiten Schrecken der vierziger Jahre scheinen vergessen.
Der Regen von gestern macht uns nicht nass sagen viele.

Diese Abgestumpftheit ist es,
die wir zu bekämpfen haben,
ihr äußerster Grad ist der Tod.
Allzu viele kommen uns schon heute vor wie Tote,
wie Leute, die schon hinter sich haben,
was sie vor sich haben, so wenig tun sie dagegen.

Und doch wird nichts mich davon überzeugen,
dass es aussichtslos ist,
der Vernunft gegen ihre Feinde beizustehen.
Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen,
damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde!
Lasst uns die Warnungen erneuern,
und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind!
Denn der Menschheit drohen Kriege,
gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind,
und sie werden kommen ohne jeden Zweifel,
wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten,
nicht die Hände zerschlagen werden.

Bertolt Brecht (1952)


An den Schwankenden

Du sagst:
Es steht schlecht um unsere Sache.
Die Finsternis nimmt zu.
Die Kräfte nehmen ab.
Jetzt, nachdem wir so viele Jahre
gearbeitet haben, sind wir in
schwierigerer Lage als am Anfang.
Der Feind aber steht stärker da denn jemals.
Seine Kräfte scheinen gewachsen.
Er hat ein unbesiegliches
Aussehen angenommen.
Wir aber haben Fehler gemacht,
es ist nicht zu leugnen.
Unsere Zahl schwindet hin.
Unsere Parolen sind in Unordnung.
Einen Teil unserer Wörter
hat der Feind verdreht
bis zur Unkenntlichkeit.
Was ist jetzt falsch von dem,
was wir gesagt haben?
Einiges oder alles?
Auf wen rechnen wir noch?
Sind wir Übriggebliebene,
herausgeschleudert aus dem lebendigen Fluß?
Werden wir zurückbleiben?
Keinen mehr verstehend und
von keinem verstanden?
Müssen wir Glück haben? So fragst du.
Erwarte keine andere Antwort als die deine.

Bertolt Brecht